Die Achillesferse der digitalen Welt: Warum eine europäische Datenstrategie überfällig ist

Gestern bin ich durch einige meiner YouTube-Abos wieder einmal auf spannende technische Entwicklungen im Bereich IT, Software und künstliche Intelligenz gestossen. Ein Punkt jedoch hat mich besonders nachdenklich gemacht: ein Video, das sich mit der aggresiven Ausbreitung amerikanischer Rechenzentren befasst und hervor hebt, wie die örtliche Bevölkerung unter der Ressourcengier dieser Bau-Titanen leidet.

Was viele nicht wissen: Ein Grossteil der digitalen Infrastruktur der USA ist auf nur drei Bundesstaaten verteilt:

  • Virginia (575), Georgia (340) und Kalifornien (311)

Hier stehen zahlreiche der Rechenzentren, die tagtäglich die Datenströme u.a. von Google, Amazon, Microsoft, Meta, Apple und Co. verarbeiten.

Was bedeutet das für uns in Europa? Nun, diese Tech-Giganten dominieren den weltweiten Markt. Ihre Server speichern und verarbeiten täglich riesige Mengen an persönlichen, geschäftlichen und staatlichen Daten, auch von europäischen Nutzern. Sollte es also zu einem gezielten physischen oder digitalen Angriff auf diese Standorte kommen, hätte das nicht nur für die USA dramatische Folgen. Auch wir würden schlagartig von Diensten, Informationen und digitalen Abläufen abgeschnitten.

In einer Welt, in der kritische Infrastrukturen – von Energieversorgung über Verkehr bis hin zum Gesundheitswesen – zunehmend IT-gesteuert sind, wäre ein solcher Angriff weitreichender als auf Brücken oder Stromleitungen. Wer Rechenzentren kappt, kappt die Steuerzentralen moderner Gesellschaften. Die Zerstörung von Rechenzentren kann den Untergang eines Staates selbstverständlich nicht automatisch herbeiführen, aber unter bestimmten Bedingungen kann sie zu einem massiven Kollaps von Infrastruktur, Verwaltung, Wirtschaft und Sicherheit führen.

Hier sind einige zentrale Gründe, warum das so dramatische Auswirkungen haben kann:

1. Zentrale digitale Infrastruktur

Rechenzentren sind das Rückgrat fast aller digitalen Dienste:

  • Verwaltung (Melderegister, Steuerwesen, Justizsysteme)
  • Gesundheitssystem (Patientendaten, Medikamentenlogistik)
  • Verkehrssteuerung (Bahn, Flugsicherung, Ampelsysteme)
  • Energieversorgung (Smart Grids, Lastverteilung) Wenn zentrale Datenbanken und Steuerungssysteme plötzlich ausfallen, kann ein Staat teilweise oder vollständig handlungsunfähig werden.

2. Finanz- und Wirtschaftssystem

  • Banken, Börsen, Zahlungsverkehr (SEPA, SWIFT, Kartenzahlungen)
  • Steuererhebung, Sozialleistungen, Lohnzahlungen
  • Warenwirtschaft und Logistik Ein längerer Ausfall kann zu einem wirtschaftlichen Schock führen –> Unternehmen zahlen keine Löhne mehr, Bürger können nicht einkaufen, Lieferketten brechen zusammen.

3. Nationale Sicherheit

  • Kommunikationssysteme von Militär, Polizei und Katastrophenschutz
  • Lagezentren, Frühwarnsysteme
  • Satellitenkontrolle (teilweise gesteuert durch Bodenrechenzentren) Ein Angriff auf kritische Rechenzentren kann die Fähigkeit zur Verteidigung oder Reaktion auf Krisen massiv einschränken.

4. Wissens- und Entscheidungshoheit

  • Wenn grosse Mengen an Regierungsdaten (Gesetze, Pläne, Verträge, Entscheidungsgrundlagen) verloren gehen oder kompromittiert werden, ist die Steuerung des Staates nicht mehr möglich.
  • Künstliche Intelligenz und Datenanalysen, auf die moderne Verwaltungen zunehmend bauen, wären ausser Gefecht.

5. Vertrauen der Bevölkerung

  • Ein grossflächiger digitaler Zusammenbruch kann Panik auslösen.
  • Bürger könnten den Eindruck gewinnen, dass der Staat nicht mehr funktionsfähig oder handlungsfähig ist.
  • Das Vertrauen in staatliche Institutionen kann irreparabel beschädigt werden – was z.B. Aufstände, Separatismus oder anarchische Zustände begünstigt.

In hochdigitalisierten Gesellschaften hängen nahezu alle Lebensbereiche von der Integrität und Verfügbarkeit von Rechenzentren ab. Ihre Zerstörung kann – insbesondere wenn sie koordiniert und flächendeckend geschieht – den „digitalen Herzstillstand“ eines Staates verursachen.

Ein realistisches Szenario im Kontext eines modernen Krieges, in dem die Zerstörung von Rechenzentren gezielt genutzt wird, um einen Staat zu destabilisieren oder sogar zu Fall zu bringen wird nachfolgend in Phasen beschrieben.

Ein Szenario: „Der digitale Blitzkrieg“

Hintergrund:

Ein geopolitisch spannungsgeladenes Land – nennen wir es Republik A – ist Mitglied eines internationalen Bündnisses (z.B. NATO-ähnlich) und steht in einem Konflikt mit einem technisch hochgerüsteten Gegner, Staat B.

Phase 1: Vorbereitung – „Schlafenlegen der Verteidigung“

Staat B hat monatelang Cyberspionage betrieben und Schwachstellen in der digitalen Infrastruktur von Republik A kartiert:

  • Zugang zu Rechenzentren (über Backdoors, Insider, Lieferketten)
  • Kenntnis über Verfügbarkeitszonen von Cloud-Anbietern
  • Schwächen in Notfallprotokollen

Parallel wurden gezielte Desinformationskampagnen gestreut: „Der Staat ist unfähig“, „Das System ist korrupt“, um das Vertrauen der Bevölkerung zu untergraben.

Phase 2: Angriff – „Kernschmelze digitaler Strukturen“

Staat B startet einen koordinieren hybriden Angriff:

Ziel 1: Physische Zerstörung

  • Drohnen- oder Raketenangriffe auf zentrale nationale Rechenzentren, Energieversorger, grosse Cloud-Backbone-Knotenpunkte
  • Sabotageakte durch Agenten an Kühlanlagen und Stromversorgung

Ziel 2: Cyberattacken

  • Ransomware auf Verwaltungssysteme
  • Zerstörerische Malware („Wiper“) in Steuer- und Kommunikationssystemen
  • DNS- und BGP-Hijacking zur Unterbrechung der Internetverbindung ins Ausland
  • Cloud-Infrastruktur wird durch Identitätsdiebstahl und Admin-Zugriffe manipuliert oder gelöscht

Phase 3: Der Blackout – „Nichts geht mehr“

Innerhalb weniger Stunden:

  • Ampelsysteme, Bahnsteuerung und Flugkontrolle stehen still
  • Krankenhäuser verlieren Zugriff auf Patientendaten
  • Banken frieren Zahlungen ein, Geldautomaten funktionieren nicht
  • Verwaltung ist offline –> kein Zugriff auf Bürgerdaten, kein Krisenstab funktionsfähig
  • Polizei, Feuerwehr und Militär sind offline oder die Kommunikation gestört
  • Propaganda von Staat B kursiert massenhaft via Social Media („Eure Regierung ist weg“)

Phase 4: Kollaps – „Alles geht den Bach unter“

  • Die Regierung kann keine Befehle mehr koordinieren –> keine Kommunikation zwischen Ministerien, Armee oder Bürgern
  • Militärische Gegenwehr ist ineffektiv oder unkoordiniert
  • Bürger hamstern Wasser, Lebensmittel, Benzin – Plünderungen beginnen
  • Lokale Gruppen oder Milizen übernehmen die Kontrolle in bestimmten Regionen
  • Der Staat verliert faktisch die Kontrolle über sein Territorium

Phase 5: Nachspiel – Der „digitale Staatszerfall“

  • Internationale Märkte stufen das Land herab –> Kapital flieht, Investoren ziehen sich zurück
  • Verbündete sind überfordert oder zu spät –> der Aggressor installiert eine Übergangsregierung oder destabilisiert das Land langfristig
  • Der Begriff „Staat“ ist nur noch formal existent –> wie bei einem „Failed State“

In einem hochdigitalisierten Staat kann die gezielte Zerstörung von Rechenzentren im Krieg die gleiche Wirkung haben wie früher die Bombardierung von Eisenbahnknotenpunkten und Kommunikationszentralen, nur mit exponentiell höheren Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.

Deshalb wird es höchste Zeit für eine konsequente europäische Datenstrategie. Unabhängigkeit in der digitalen Infrastruktur ist keine Frage des Fortschritts mehr, sondern der Resilienz. In einer geopolitisch und wirtschaftlich instabiler werdenden Welt ist es gefährlich, wenn unsere digitale Souveränität an drei geografischen Punkten auf einem anderen Kontinent hängt.

Fazit:

Rechenzentren sind keine neutralen Lagerhallen, sondern strategische Assets. Wer sie kontrolliert, kontrolliert die digitale Realität. Deshalb ist Schutz, Souveränität und Eigenbetrieb bei besonders sensiblen Daten nicht Luxus, sondern Staatsraison.

Quellen:

  1. Data Center Map: https://www.datacentermap.com/
  2. Bloomber Originals – „The World Needs AI, But There’s a Problem“: https://www.youtube.com/watch?v=SpMIs6AnUW8
  3. More Perfect Union – „I Live 400 Yards From Mark Zuckerberg’s Massive Data Center“: https://www.youtube.com/watch?v=DGjj7wDYaiI
  4. More Perfect Union – „Palantir: The New Deep State“: https://www.youtube.com/watch?v=DZ95Gmvg_D4
  5. John Harris – „Why Hacking is the Future of War“ : https://www.youtube.com/watch?v=15MaSayc28c
  6. US Cloud Act vs. European GDPR: https://www.activemind.legal/guides/us-cloud-act/
  7. The CLOUD Act and Transatlantic Trust: https://www.csis.org/analysis/cloud-act-and-transatlantic-trust

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